ALTERNATIVE GESELLSCHAFTSENTWÜRFE:
Spanien 1936 - 1939 (3)
Der bäuerliche Anarchismus
Spanien war ein Land von zum Himmel schreiender sozialer Ungerechtigkeit, gekennzeichnet von unzähligen Revolten und deren brutaler Unterdrückung durch die spanische Oligarchie. Bemerkenswert an den Aufständen war das starke anarchistische Element in den Bewegungen. Die Bauern und Landarbeiter hingen einem eher instinktiv geprägten anarchistischem Ideal nach. Die bäuerliche Dorfgemeinschaft (pueblo) war selbstverwaltet und beruhte auf Gleichheit und Kollektivismus. Dieses Ideal hatte in Spanien eine jahrhundertelange, funktionierende Tradition. In Bruderschaften organisiert, sorgten die Bauern seit dem Mittelalter mittels eines Genossenschaftswesens in jeder erdenklichen Art und Weise für ihre Mitglieder. So kümmerten sie sich z.B für Witwen und Waisen, Alte und Kranke und bewirtschafteten auch gemeinsam das Land, das ihnen von den Adligen zur eigenen Nutzung gelassen wurde. Ebenso waren die Bruderschaften Kampfgemeinschaften gegen die parasitären adligen Grundbesitzer. Erst mit der Abschaffung der feudalen Eigentumsverhältnisse Mitte des 19. Jahrhunderts gerieten die Dorfgemeinschaften in Gefahr. Land, das vormals vom gesamten Dorf bewirtschaftet wurde, wurde von (mit nötigen Geldmitteln ausgestatteten) Privatleuten gekauft. Es entstand im Zuge der Privatisierung von ehemaligem Kollektivbesitz ein ländlicher Besitzindividualismus, dessen Nachwirkungen auch die Genossenschaften und den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft bedrohten. So stellen sich die anarchistischen Aufstände, die in der Folgezeit auftraten, als ein Versuch der Rekonstruktion ehemals funktionierender und als erstrebenswert erachteter Strukturen dar. Der Anarchismus / Kollektivismus wurde schon lange Zeit gelebt und erst mit der Einführung kapitalistischer Besitzverhältnisse zerstört.
Der Anarcho-Syndicalismus der spanischen Arbeiterbewegung
In den Jahren 1868-1872 wurde in der Ersten Internationalen ein erbitterter Richtungsstreit zwischen Karl Marx und Michael Bakunin ausgefochten. Verkürzt gesagt wollten Bakunin und seine Anhänger eine proletarische Revolution, in deren Verlauf der Staat und die politische Macht zerschlagen werden sollten. Im Gegensatz dazu wollten Marx und die sozialdemokratischen Parteien mit dem Proletariat die politische Macht im Staat erobern. Bakunin trat entschieden gegen eine politische Beteiligung an den Institutionen des bürgerlichen Staatsapparates ein, da seiner Meinung nach die Macht des Staates deren Träger korrumpiert und die Konzentration auf Wahlen, Parlament usw. den revolutionären Elan des Volkes ersticken würde. Bakunins Ziel war die "Abschaffung des Staates", sowie ein freies föderalistisches System autonomer Körperschaften (Verbände, Gruppen, Kommunen, Syndikate, d.h. Gewerkschaften), die miteinander freiwillige Verträge abschliessen. Mit den Mitteln der "direkten Aktion" (im Gegensatz zur parlamentarischen), also mit Streiks, Revolten und Sabotageakten, sollte die Wut der unterdrückten Volksmassen auf ihre Herrscher freigelegt und ein allgemeiner Aufstand ausgelöst werden. Der "freiheitliche" oder "libertäre Kommunismus", der die Ideen Bakunins aufgriff war in den 60er und 70er Jahren des 19.Jahrhunderts vor allem in der Schweiz, Italien, Frankreich und Spanien weit verbreitet. Im libertären Kommunismus sollte ebenso wie im autoritären Staatssozialismus das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft, jedoch nicht in Staats-, sondern in Kollektiv- und Gemeineigentum umgewandelt werden. Der grösste Teil der spanischen Arbeiterbewegung entschied sich in diesem Richtungsstreit ebenfalls für Bakunin, was insofern nicht überraschte, da die Industriearbeiterschaft im immer noch agrarisch geprägten Spanien nach wie vor vielfältige Bande und auch eine emotionale Beziehung zur bäuerlichen Bevölkerung besass. Ihnen waren die Ideen des Anarchismus nur zu vertraut. Die städtischen Arbeiter lebten noch in einer Atmosphäre, in der Wut, Zorn und Rache der Volksmassen - wie Jahrhunderte zuvor die Bauernaufstände - die explosive Form der vergänglichen gewalttätigen Revolte einnahmen.