ALTERNATIVE GESELLSCHAFTSENTWÜRFE:

Spanien 1936 - 1939 (2)

Spaniens Gesellschaftssystem im 20. Jahrhundert


Um die Geschichte des spanischen Bürgerkrieges zu verstehen ist es unerlässlich, zumindest kurz auf die tragenden Säulen der spanischen Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert einzugehen. In dieser Zeit wurde Spanien beherrscht von einer Oligarchie aus reichen Adligen und Grossgrundbesitzern, einer mächtigen Kirche, die ganz im Dienste der Monarchie stand, sowie einer Armee, die - wie unten ausgeführt - ihresgleichen suchte. Anfang des 20. Jahrhunderts war Spanien ein gering industrialisiertes Land, vorwiegend bäuerlich besiedelt und von einer ungeheuerlichen sozialen Ungleichheit geprägt. Von 11 Millionen Erwerbstätigen mussten 1931 ca. 8 Millionen zu den "Armen" gerechnet werden, demgegenüber stand eine Schicht von Wohlhabenden, die sich zumeist aus parasitären Elementen (Geistliche, Militärs, Grossgrundbesitzer, reiche Grossbürger, aufgeblähter Bürokratieapparat, etc.) zusammensetzte. 


Einer kleinen Schicht von Grossgrundbesitzern gehörte fast das gesamte Land, so entfielen z.B. in der Provinz Sevilla 72 Prozent des Grund und Bodens auf 5 Prozent der Grundeigentümer. Auf der anderen Seite gab es im Süden Spaniens eine grosse Anzahl vollkommen besitzloser Landarbeiter, die zu Hungerlöhnen auf den Besitztümern der Reichen arbeiten mussten, während in Nord- und Mittelspanien die Ländereien der Bauern mit Grundbesitz so klein waren, dass sich kaum die eigene Ernährung bewerkstelligen liess. Diese Situation, in der erbärmlicher Lohn, Arbeitslosigkeit das halbe Jahr lang und ein Vegetieren am Rande des Hungertodes den Alltag eines Grossteils des spanischen Volkes darstellte, rief ein explosives soziales Klima hervor. Die Sklaven, die Rechtlosen und die Unterdrückten waren jederzeit bereit, für einen gerechten Lohn und für ihr eigenes Land zu kämpfen. Schon 1855 brachen die ersten Bauernaufstände aus, die sich mit steigender Frequenz wiederholten.


Die geistliche und weltliche Macht der spanischen Kirche war beträchtlich, sie schien geradewegs aus dem Mittelalter zu stammen. Ihr Reichtum war kaum zu schätzen, aber sie stellte wohl den annähernd grössten Grundbesitzer in Spanien dar. Sie kontrollierte die Schulen, im Verbund mit der Oligarchen-Schicht aus Adel und Grossgrundbesitzern war sie Mitherrscherin in Spanien. Zutreffend bemerkt Augustin Souchy hierzu, dass die Macht der katholischen Kirche sowohl die Erziehung als auch die normale Entfaltung des Geisteslebens behinderte. Um 1931 war ihre geistliche Macht allerdings schon erheblich korrodiert: So fanden im Mai 1931 erste katholikenfeindliche Unruhen statt, Klöster und Kirchen wurden reihum in Brand gesteckt. Die Massen wussten, wer ihre Unterdrücker waren. Alleine in den Landstrichen, in denen die soziale Ungleichheit weniger deutlich zu sehen war, verblieb der Kirche noch eine gewisse Gefolgschaft.


Spaniens Armee war einzigartig in jeder Hinsicht: Während hundert Jahren, in denen die Kämpfe um die Verteidigung der letzten Reste des spanischen Kolonialreiches tobten, schafften es Spaniens Offiziere genauso beständig (nämlich nach jeder Niederlage) die Macht im Inneren an sich zu reissen. Ein Putsch jagte den nächsten. Bemerkenswert war auch dass es in der Armee - im Gegensatz zum Material - an Offizieren kaum mangelte. Auf sechs Mann kam ein Offizier, auf etwas über 100 Mann ein General. An Kriegsmaterial war die spanische Armee erstaunlicherweise nur mit einem gut ausgerüstet: mit Maschinengewehren. Ohne brauchbare Artillerie, ohne brauchbare Luftwaffe brauchte diese Armee eigentlich gar nicht ins Feld zu ziehen. Mit der grossen Anzahl an Maschinengewehren aber liess sich eine meuternde Menge von Arbeitern oder Bauern problemlos niedermetzeln.

Share by: