Die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins 3

Gemäss der Brihandaranyaka Upanishad entschied das ursprüngliche, ungespaltene Bewusstsein „Mehrere“ zu sein, zuerst Zwei, dann Vier, dann Acht usw. Es entstanden die individuellen „Ichs“ auch Purushas genannt. Diese Ichs waren das Absolute, wie es sich selber erleben wollte. Und dann passierte, was das Vedanta Avarana nennt, ein fürchterliches Ereignis in dem die Ichs die Verbindung zum Absoluten verloren. Nicht nur ging diese Verbindung verloren, sondern auch die Erinnerung, dass es je so etwas gegeben hatte. Gleichzeitig trat Vikshepa, die Unstetigkeit des Minds, auf. Die Ichs lebten fortan in konstanter Unruhe, auf der Suche nach Etwas, auf der Suche nach dem, was verloren gegangen war. Die Wahrnehmungsorgane sahen eine Welt, und es wurde geglaubt, das Verlorene könnte in dieser Welt wieder gefunden werden. Dies trieb sie mittels ihrer Handlungsorgane zur Aktivität an. Der Mensch scheint masslos zu sein, er scheint nie genug zu haben, nie genug Besitztümer, nie genug Macht, nie genug Ruhm. Er versucht, das Verlorene durch die Egofunktion wiederherzustellen, was nicht selten mit einer Katastrophe endet. Die Sehnsucht nach dem Absoluten ist im menschlichen Leben allgegenwärtig: Die Sehnsucht nach Erfüllung, nach Glück, nach Seelenfrieden, nach Vollendung.


Können wir noch weiter zurückgehen? Was war ganz am Anfang? Was war der Anlass, dass überhaupt Welten erschaffen wurden? Im Rig-Veda gibt es die berühmte Schöpfungshymne, Nasadiya-Sukta genannt. Der Text ist für moderne Geister kaum verständlich, zum Teil widersprüchlich. Aber vielleicht ist er letztlich Ausdruck der Tatsache, dass wir hier in Wesenformen vordringen, die unsere Vorstellungs- und Verständniskraft gänzlich übersteigen. Wer ist schon in der Lage, sich seine eigene Person in andere Wesensformen vorzustellen? Welche Form werden wir nach dem Tod einnehmen, und was waren wir vor der Geburt? Wenn wir von Seelen reden, die sich in irgendwelchen Gebieten aufhalten (und allenfalls auf eine Inkarnation warten), geben wir dem Kind zwar einen Namen, aber bringt uns dies tatsächlich weiter?


Vielleicht gibt es doch einen Anhaltspunkt, der uns hier weiter helfen kann. Denn wir machen ganz konkret und zwar jede Nacht die Erfahrung einer anderen Existenzform. Dies ist der Fall wenn wir träumen (siehe auch "Die Verwirklichung des Absoluten"). Im Traumerleben existieren wir, ganz ohne Zweifel, aber in einer anderen Wesensart. Wenn wir nun in der Geschichte der Entwicklung des Bewusstseins sehr weit zurückgreifen, erreichen wir andere Ebenen des Seins, im Ultimativen sogar das, was gewöhnlich als göttliche Ebene bezeichnet wird. Beim Gottesbegriff empfiehlt es sich vorsichtig zu sein, denn in diesem Wort wird alles Mögliche hineinprojiziert. In der Regel handelt es sich um ein übernatürliches, allmächtiges, transzendentales Wesen, sehr weit von uns entfernt und in jeder Hinsicht anders als wir selber. Zu behaupten, dieser Gott habe die Welt erschaffen, bringt uns nicht viel weiter, denn es verschiebt einfach die Grundfrage. Unmittelbar darauf folgt nämlich die nächste Frage: Und wer hat Gott erschaffen? Wenn wir auch heute noch im Traumzustand eine andere Daseinsform erleben, dann dürfte es vorstellbar sein, dass für uns noch andere Wesensarten oder Daseinsformen möglich sind. Dieser Gedanke ist zwar sehr ungewöhnlich, aber er ist der Schlüssel zum Verständnis des ganzen Spektrums unserer Existenz. Dies ist auch das zentrale Thema der Mandukya Upanishad. Denn Moksha, die Erlösung, das Erwachen, ist eine Wesensumwandlung in eine andere Existenzform. Handkerum ist es auch die Wesensform in der wir ursprünglich existiert haben, bevor wir den oben erwähnten Fall erlebten und in den Wirren des Samsaras versanken. Und hier ist der wesentliche Unterschied zwischen den Upanishaden und dem westlichen religiösen Glauben: Es gibt letztendlich keine Trennung zwischen Mensch und Gott. Wenn dies so wäre, gäbe es keinen Yogaweg, gäbe es keine Möglichkeit, das Ultimative wieder zu erlangen. Denn Yoga ist nichts anderes als ein Rückführungsprozess zu dem Ort, zu dem Wesen, zu dem Bewusstseinszustand, von wo wir herkommen, wo wir einst beheimatet waren.


Gott und der Mensch


Die Verbindung – ja die Einheit - zwischen Gott und dem Menschen ist ein zentrales Thema der Upanishaden. Dieses Wesen, das einst war, existierte im Zustand der absoluten Glückseligkeit. Die Upanishad besagt aber, dass Es sich einsam fühlte. Aus einem Impuls heraus, den Swami Krishnananda als Spielimpuls bezeichnet, wurden die Welten erschaffen. Im Hinduismus wird die Welt manchmal als Lila bezeichnet, als Spiel Gottes. Dies scheint sehr überraschend zu sein! In der Bücherreihe „Gespräche mit Gott“ wird ein anderer Standpunkt erörtert. Wenn man sich immer im Zustand der absoluten Glückseligkeit befindet, merkt man es schlussendlich gar nicht mehr. Nehmen wir ein Beispiel. Viele von uns wissen, wie schwierig die Partnersuche ist. Wenn man denn aber fündig geworden ist und die Sexualität harmoniert, wird die sexuelle Extase nach all dem Mühsal und all den Enttäuschungen unvergleichbar sein. Würden wir immer in diesem Zustand verweilen, ginge dessen Bewusstsein vermutlich mit der Zeit verloren. Mit anderen Worten, wir würden zwar Glückseligkeit erleben, aber uns dessen nicht mehr richtig bewusst sein. Dies war gemäss obiger Buchreihe der Grund, warum Gott die Welt – und das Leid - erschuf. Wenn wir Leid erfahren, wenn wir Freude erfahren – das ganze Spektrum der menschlichen Emotionen - dann leidet Gott mit uns, dann freut er sich mit uns. Er erfährt sich selber durch uns. Er ist wir und wir sind Er!

Share by: