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GESELLSCHAFTEN IM VERGLEICH
Anthropologie: Fünf Gesellschaftstypen 


Der amerikanische Kulturanthropologe Frank Robert Vivelo unterscheidet fünf grosse Kulturgruppen, bzw. Gesellschaftssysteme: das Wildbeutertum, der niedere Bodenbau, das Hirtentum, der höhere Bodenbau und der Industrialismus. Jede Gruppe wird durch gewisse Merkmale gekennzeichnet, wie Populationsgrösse, Verwandtschafts-beziehungen, Arbeitsteilung, wirtschaftliche Organisation, Güterproduktion und -verteilung, soziale Schichtung, Kriegführung, Religion usw.. Obwohl die zeitliche Entstehung der Gruppen etwa obiger Reihenfolge entspricht, werden diese nicht im Sinne einer Evolution beschrieben, sondern als in sich geschlossene und unabhängige Gesellschaftsentwürfe. Wie weiter oben ausgeführt, existieren heute noch sämtliche Gesellschaftsformen, obwohl die meisten von der Ausbreitung des Industrialismus in ihrer Existenz bedroht sind. Vivelo entgeht somit der weit verbreiteten und als Selbstverständlichkeit empfundenen These, wonach der Industrialismus den Gipfel der Evolution darstellt und alle anderen Kulturformen entweder als primitiv, rückständig oder entwicklungsbedürftig gesehen werden.

Wenn man Kulturen rein nach dem Kriterium der wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften misst, dann dürfte obige These zweifelsohne zutreffen. Es wird jedoch oft vergessen, dass dies nur ein mögliches Beurteilungskriterium unter anderen ist. Die materielle Welt zu erforschen, Gesetzesmässigkeiten zu entdecken und diese in praktischen Anwendungen umzusetzen ist das Hauptziel der modernen Industriegesellschaft. Die produzierten Waren und Dienstleistungen versprechen Wohlstandszuwachs, mehr Komfort, Erleichterungen im Alltag und Wohlbefinden für alle. Industrialismus unterscheidet sich gegenüber den anderen vier Kulturgruppen durch ein wesentliches Merkmal: Die Dynamik der Veränderung, verursacht durch den technischen Fortschritt. Dies hat an sich etwas Faszinierendes: Es werden immer neue Güter produziert, das Wissen über jeden erdenklichen Bereich nimmt stetig zu, Anwendungen versprechen Heilung im medizinischen Bereich, Effizienz in der Warenherstellung, Quantensprünge in der Information und Kommunikation. Neue Erfindungen begeistern uns im Alltag, in der Freizeit, im Arbeitsbereich.

Allerdings ist der Prozess mittlerweile zum Zwang geworden, zum Diktat, dem sich niemand mehr entziehen kann. Auf der anderen Seite gibt es das Problem der Verteilungsgerechtigkeit sowie der Bedrohung durch das Kippen ökologischer Gleichgewichte. Die anderen vier Kulturgruppen von Vivelo sind demgegenüber als relativ statisch zu bezeichnen: Die individuellen Verhaltensweisen und sozialen Organisationsformen werden durch Traditionen bestimmt, über Generationen hinweg verändert sich das Leben kaum. Entsprechend besser ist die Überschaubarkeit, die Abhängigkeiten sind geringer, die Bedrohungsformen weniger diffus.